AMK Legal News powered by reuschlaw Q3/2022

A. Thema des Quartals: Blue Guide 2022 – Überarbeiter Leitfaden für die einheitliche Umsetzung der Produktvorschriften der EU

Die EU-Kommission hat am 29. Juni 2022 eine neue Fassung des Blue Guides veröffentlicht. Dieser rechtlich nicht verbindliche Leitfaden dient dem besseren Verständnis und stellt eine Auslegungshilfe bei der einheitlichen Umsetzung der Produktvorschriften der EU dar. Hervorzuheben ist, dass der Blue Guide auch von den Behörden als Interpretationshilfe herangezogen wird, sodass es ratsam ist, sich als Wirtschaftsakteur der entstehenden faktischen Wirkung bewusst zu sein. Der Blue Guide gilt für alle Non-Food Produkte und nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse, unabhängig von ihrer Verwendung durch Verbraucher oder Gewerbe und adressiert alle Mitgliedstaaten der EU sowie Island, Liechtenstein und Norwegen.

In der aktuellen Version wird vor allem ­­neuen technischen Entwicklungen Rechnung getragen und verabschiedete Rechtsakte seit Veröffentlichung des letzten Blue Guides 2016 aufgenommen, wie bspw. die neue Marktüberwachungsverordnung, die erstmals die Vollzugsarbeit der Marktüberwachungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten harmonisiert.

Die Abschnitte zur Produktdefinition sowie Reparaturen und Änderungen werden neu angeordnet und prägnantere Definitionen z.B. für die „wesentliche Änderung“ aufgenommen. Eine wesentliche Änderung liegt bspw. vor, wenn die ursprüngliche Leistung, Verwendung oder Bauart des Produkts geändert wurde und dies bei der ursprünglichen Risikobewertung nicht erfasst wurde oder sich das Risikoniveau im Vergleich zu den anwendbaren Rechtsvorschriften erhöht hat. Dieses Produkt wird dann ggf. als neues Produkt eingestuft, sodass ein neues Konformitätsbewertungsverfahren vorzunehmen ist. Zudem wurden Ausführungen zu Datenverarbeitungsprogrammen (Software) zusammen mit entsprechenden Update-Pflichten erfasst.

Generell wird ein stärkeres Augenmerk auf die Herausforderungen des Fernabsatzes und der Online-Verkäufe gelegt. Ebenfalls enthält der Blue Guide detaillierte Ausführungen zu dem Inverkehrbringen von Produkten unter Nutzung verschiedener Vertriebsmethoden, auch unter Beteiligung von Fulfillment-Dienstleistern. Die neue Marktüberwachungsverordnung hat den Fulfillment-Dienstleister als neuen Wirtschaftsakteur aufgenommen, um den Kreis der potenziell in Anspruch zu nehmenden Wirtschaftsakteure in der EU zu erweitern. Weiterhin wurden Neuerungen der Marktüberwachungsverordnung in Kapitel 7 detailliert erfasst, darunter Überarbeitungen zur Organisation der Marktüberwachung und entsprechender Kontrollen. Zudem wird die neue Verordnung EU 2019/515 vom April 2020 über die gegenseitige Anerkennung von Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, berücksichtigt und Ausführungen zum außereuropäischen Kontext wie dem CETA-Abkommen aufgenommen.

Darüber hinaus wird auf die Auswirkungen des Brexits eingegangen, da das Vereinigte Königreich in Bezug zur EU nun als Drittstaat angesehen wird. Die im Vereinigten Königreich ansässigen Hersteller oder Importeure gelten seit dem 1.1.2022 nicht mehr als in der EU ansässige Wirtschaftsakteure. In der Konsequenz haben die britischen Stellen ihren Status als notifizierte Stelle verloren, sodass die im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens ausgestellten Bescheinigungen für Produkte, die ab dem 1.1.2022 in Verkehr gebracht wurden, nicht mehr gültig sind. Einhergehend damit werden Ausführungen zu dem Protokoll zu Irland/Nordirland aufgenommen, wonach einige Regelungen des EU-Rechts nun auch auf Nordirland erweitert werden.

Fazit

Aufgrund ihrer Wichtigkeit für den internationalen Wirtschaftsverkehr sind die Ausführungen zu Fernabsatz und Online-Verkäufen erfreulich. Weiterhin wird auch im Bereich der Kreislaufwirtschaft die wesentliche Änderung des Produkts neue Bedeutung erlangen. Daher kann die Aktualisierung des Blue Guide den Wirtschaftsakteuren bei dem Verständnis und der Umsetzung ihrer Pflichten unterstützen. Die Praxis wird zeigen, inwiefern die EU-Kommission Lücken umfassend schließen konnte.

Festzuhalten bleibt, dass sich aufgrund der gesteigerten Relevanz des Green Deals auf EU-Ebene die Regulatorik in den kommenden Jahren stetig verändern wird, sodass in absehbarer Zeit erneut eine Überarbeitung notwendig wird.

Weiterführende Quellen:

 

B. Neue Verordnung über Maschinen geplant

Bereits im April 2021 hatte die Kommission ihren Vorschlag für eine Maschinenverordnung veröffentlicht, die die bisherige Maschinenrichtlinie von 2006 ablösen soll. Derzeit läuft das Gesetzgebungsverfahren. Am 21. Juni 2022 hat sich der Rat nun auf einen Kompromissvorschlag geeinigt, der als Standpunkt für weitere Verhandlungen dienen soll.

Hervorzuheben ist, dass sich die EU eines neuen Regelungswerkzeugs, nämlich der Verordnung bedient, da diese im Gegensatz zur Richtlinie unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt und daher ein größtmögliches Maß an Harmonisierung ermöglicht. Zunächst wurde der Anwendungsbereich in Bezug auf elektrische und elektronische Produkte klargestellt, sodass dieser nicht eröffnet sein soll, wenn die Niederspannungsrichtlinie (LVD) oder Richtlinie über Funkanlagen (RED) auf das Produkt anwendbar ist. Hierbei ist zu differenzieren, dass für Haushaltsgeräte in der häuslichen Umgebung die Niederspannungsrichtlinie gilt und diese nicht von der Maschinenverordnung erfasst sein sollen. Gleiches sieht der neue Verordnungsvorschlag vor. Jedoch umfasst der Ausschluss nicht mit Motor betriebene Möbel, darunter Küchenmöbel. Konkret sind hier beispielsweise motorisch verstellbare Kücheninseln und Küchentüren zu nennen.

Weiterhin wurde die „wesentliche Modifikation“ definiert, wonach diese eine vom Hersteller nicht vorhersehbare oder geplante physische / digitale Veränderung darstellt, aufgrund dessen die Produktsicherheit durch Schaffung einer neuen Gefahr bzw. Erhöhung des Risikos beeinträchtigt wird. Ein Beispiel ist das Aufspielen einer herstellerfremden Software. Bei einer wesentlichen Modifikation legt der Verordnungsentwurf der Person, die diese Modifikation vornimmt, die Pflichten des Herstellers zu einer erneuten Konformitätsbewertung für diesen modifizierten Teil auf. Weiterhin bestehen soll die Konformitätsvermutung für Maschinen, die im Einklang mit harmonisierten Normen oder Teilen davon hergestellt wurde. Zudem wird der Einsatz von Software in Maschinen aufgegriffen, sodass Maschinen, die mit dem Internet verbunden sind, gegen Verfälschungen geschützt werden, indem die Maschine so konstruiert wird, dass der Anschluss einer anderen Einrichtung keine Gefahr auslöst.

Spezielle Neuerung ist die erstmalige Regelung zur Zulässigkeit digitaler Betriebsanleitungen. Der Verordnungsentwurf sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, die Betriebsanleitung rein digital zur Verfügung zu stellen. Dabei muss der Hersteller gewährleisten, dass auf der Maschine oder einem verwandten Produkt und in einem Begleitdokument angegeben wird, wie auf die digitale Anleitung zugegriffen werden kann. Ebenfalls muss beschrieben werden, welche Version der Betriebsanleitung der Maschine oder dem verwandten Produkt entspricht und das digitale Abrufen der Anleitung bis mindestens 10 Jahre nach Inverkehrbringen ermöglicht werden. Dem Verwender muss es möglich sein, die Betriebsanleitung herunterzuladen und auf einem elektronischen Gerät zu speichern. Damit soll eine Verfügbarkeit der Anleitungen auch bei Ausfall der Maschine gewährleistet werden. Bisher waren nach deutscher Rechtsprechung das Anbieten eines QR-Codes oder Download-Optionen der Betriebsanleitung nicht möglich. Hier lassen sich die Bemühungen bei der Umsetzung des Green Deal, insbesondere in Hinblick auf die Sustainable Product Initiative erkennen, die eine Ergänzung der geplanten Ökodesign-Verordnung in Hinblick auf die erstmalig geplanten Regelungen zur Umsetzung des digitalen Produktpasses bieten. Jedoch soll weiterhin gewährleistet werden, dass Kunden auf Wunsch bis 6 Monate nach Kauf kostenlos eine gedruckte Anleitung erhalten können.

Fazit

Da eine Verabschiedung der Verordnung noch in diesem Jahr wahrscheinlich ist, sollten Unternehmen sich umgehend mit den Neuerungen und Möglichkeiten zur Umsetzung auseinandersetzen und entsprechenden personelle und finanzielle Ressourcen einplanen. Im Kompromissvorschlag des Rates ist derzeit eine Übergangsfrist von 36 Monaten vorgesehen, innerhalb derer die Vorgaben der Verordnung ab deren Inkrafttreten umgesetzt werden müssen.

Weiterführende Quellen:

 

C. Update: Deforestation Verordnung

Die EU plant eine neue Verordnung für entwaldungsfreie globale Lieferketten, die künftig die Holzhandelsverordnung EUTR ersetzen wird und setzt damit die EU-Waldstrategie als Teil des Green Deal weiter um. Laut Verordnungsentwurf der Kommission vom 17.11.2021 sollen künftig relevante Rohstoffe und Erzeugnisse nur dann auf dem Unionsmarkt in Verkehr gebracht, bereitgestellt oder ausgeführt werden, wenn sie entwaldungsfrei sind, also die Gewinnung der Rohstoffe somit nicht ursächlich für den Verlust von Wald war. Weiterhin müssen die einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes eingehalten und eine Sorgfaltserklärung ausgestellt werden. Der Anwendungsbereich dieser neuen Verordnung geht über Holz und Holzerzeugnisse hinaus und erfasst „relevante Rohstoffe“ wie Holz, Rinde, Ölpalmen, Soja, Kaffee, Kakao sowie „relevante Erzeugnisse“, die aus den vorgenannten Rohstoffen produziert wurden. Derzeit läuft das ordentliche Gesetzgebungsverfahren.

Das EU-Parlament hat sich in der ersten Lesung am 13.09.2022 auf einen strengeren Standpunkt mit einem deutlich ausgeweiteten Anwendungsbereich sowie einem früheren Inkrafttreten der Regelungen geeinigt, wohingegen der Rat den Kommissionsentwurf bisher eher abschwächen möchte. Nun verhandeln Rat und Parlament über den Entwurf, um sich auf einen Kompromiss zu einigen. Nach aktuellem Stand bleiben Sitzmöbel aus Holz für die Küche weiterhin ausgenommen. Jedoch werden Holzmöbel von der in der Küche verwendeten Art, wie bspw. ein Holztisch oder Holzschränke erfasst.

Die auf das konkrete Holz/Holzerzeugnis anwendbaren Regelungen sind weiterhin abhängig von der Verarbeitung und Produktkonstruktion, wobei die Anzahl der einschlägigen Regelungen mit der Komplexität des Produkts steigt. Bei Missachtung der Regelungen kann die Verkehrsfähigkeit des Produkts gefährdet sein und auch eine Haftung aufgrund des bestehenden Produktrisikos bzw. Fehlerhaftigkeit des Produkts entstehen.

Fazit

Unternehmen ist anzuraten, die erforderlichen Prozesse und die erforderlichen Sorgfaltspflichten frühzeitig zu identifizieren und entsprechende finanzielle und personelle Ressourcen zu schaffen, um die neuen Vorgaben zu implementieren. Insgesamt ist der Vorschlag sehr begrüßenswert, da er langfristig einen entscheidenden Beitrag leisten wird, illegal gewonnene Rohstoffe in auf dem EU Binnenmarkt zu vermeiden und unter Menschenrechts- und Umweltverstößen hergestellte Produkte in der EU zu verhindern.

Weiterführende Quellen: