AMK Legal News powered by reuschlaw Q4/2022

A. Thema des Quartals: Neue Produkthaftungs-Richtlinie

Die EU-Kommission hat am 28.09.2022 einen Vorschlag für eine überarbeitete Produkthaftungsrichtlinie veröffentlicht, die die bisherige Richtlinie von 1985 ablösen soll. Derzeit befindet sich die Richtlinie im Gesetzgebungsverfahren. Jedoch steht schon jetzt fest: Die neue Richtlinie wird die Produkthaftung in Europa deutlich ausweiten. In Zukunft soll es den Mitgliedstaaten nicht mehr erlaubt sein, durch nationale Regelungen von den Vorgaben der Richtlinie abzuweichen, um ein höheres oder auch niedrigeres Schutzniveau zu erreichen. Daher werden im Folgenden die wichtigsten geplanten Neuerungen vorgestellt.

Auswirkungen auf Hersteller und Importeure

Der Anwendungsbereich der Richtlinie wird derart ausgeweitet, dass nicht nur bewegliche Sachen sowie Elektrizität unter die Richtlinie fallen, sondern in Zukunft auch digitale Dateien und Software. Software erfasst in diesem Fall auch Systeme künstlicher Intelligenz. Darunter sind beispielsweise Roboter, Drohnen und Smart-Home Systeme zu fassen. Weiterhin wird die Definition der Fehlerhaftigkeit eines Produkts präzisiert. Demnach ist ein Produkt weiterhin als fehlerhaft anzusehen, wenn es nicht der berechtigten Sicherheitserwartung eines Durchschnitts-Verbrauchers entspricht. Allerdings soll in Zukunft auch die Cybersicherheit des Produkts bei der Beurteilung berücksichtigt werden, also Effekte selbstlernender Funktionen sowie die Auswirkungen anderer Produkte, die regelmäßig mit dem in Rede stehenden Produkt verwendet werden. Adressiert wird hier das Internet of Things und die zunehmende Einbeziehung maschinellen Lernens. Bei der Nutzung solcher Techniken müssen Unternehmen daher auch die Ergebnisse des Lernprozesses im Blick behalten und schon vor Inverkehrgabe prüfen, welche Wechselwirkungen zu anderen Produkten entstehen können. Ersatzfähig ist in Zukunft auch die Beschädigung oder der Verlust von Daten. Zudem entfallen die bisher geltenden Haftungshöchstgrenzen für Personenschäden in Höhe von 85 Mio. Euro als auch die Selbstbeteiligung von 500 Euro für Sachschäden. Besonders hervorzuheben ist, dass in Zukunft der Ausgangspunkt für die Beurteilung der Produkthaftung nicht mehr nur der Zeitpunkt des Inverkehrbringens sein wird, sondern auch eine Haftung danach entstehen kann, wenn der Hersteller nach Inverkehrbringen auf das Produkt bspw. durch Sicherheitsupdates einwirken kann.

Haftungsausschlüsse zum Vorteil der Wirtschaftsakteure werden derart eingeschränkt, dass sich dieser nicht entlasten kann, wenn der nicht erkennbare Fehler bei Inverkehrbringen durch ein Sicherheits-Update hätte behoben werden können.

Geltendmachung eines Anspruchs

Darüber hinaus soll nun eine Beweiserleichterung des Geschädigten gelten, wonach die Kausalität zwischen Produktfehler und Schaden vermutet wird, wenn der Schade durch eine offensichtliche Fehlfunktion des Produkts bei normalem Gebrauch entstanden ist. Auch ist bemerkenswert, dass Unternehmen künftig laut Vorschlag gezwungen werden können, Beweismittel wie Konstruktionsunterlagen an den Kläger herauszugeben. Wird der Pflicht nicht oder nicht vollständig nachgekommen, wird die Fehlerhaftigkeit des Produkts gesetzlich vermutet. Dies stellt eine Neuerung im deutschen Zivilprozess dar. Zu beachten ist auch bei Sitz des Anspruchsgegners in einem Drittland, dass nun der Importeur des Produkts in die EU oder der Bevollmächtigte in der EU für den entstandenen Schaden haftet. Entsprechendes gilt auch für den 2019 in der Marktüberwachungsverordnung eingeführten Wirtschaftsakteur, den „Fulfilment Dienstleister“, der zum Beispiel lediglich Verpackung und Adressierung des Produkts übernimmt. Weiterhin haftet derjenige als Hersteller, der ein Produkt, welches bereits in Verkehr gebracht wurde, im Sinne der europarechtlichen Produktvorschriften wesentlich modifiziert, um die Haftung im Rahmen von kreislauforientierten Geschäftsmodellen klarzustellen.

Fazit und Ausblick

Bisher ist ein sehr kurzer Umsetzungszeitraum für die Mitgliedstaaten von 12 Monaten nach Inkrafttreten der Richtlinie vorgesehen. Weiterhin will die EU-Kommission mit einem ebenfalls am 28.09.2022 veröffentlichten Vorschlag für eine KI-Haftungsrichtlinie den Haftungsrahmen in der EU komplementieren und an das digitale Zeitalter anpassen. In den kommenden Jahren sind Unternehmen angehalten, sich detailliert mit den neuen deutlich ausgeweiteten Haftungsregeln auseinanderzusetzen und wenn möglich, vertraglich Haftungsrisiken zu vermeiden.

Weiterführende Quellen:

 

B. EuGH-Urteil zur Haftung von Quasiherstellern

Mitte dieses Jahres hatte der EuGH zu entscheiden, inwiefern Markenkennzeichnungen auf dem Produkt zu einer Herstellerhaftung i.s.d. Produkthaftungsrichtlinie führen können. Die Entscheidung erlangte Aufsehen, da nun gesteigerte Haftungsrisiken für Quasi-Hersteller drohen. Demnach kann ein Unternehmen als Quasi-Hersteller haften, wenn es lediglich seinen Namen oder seine Marke auf dem Produkt anbringt oder das Anbringen zugelassen hat. Dies gilt auch dann, wenn zusätzlich der tatsächliche Hersteller auf dem Produkt angebracht ist.

Ausgangssituation

Vorliegend hatte der Brand einer Kaffeemaschine der Marke Koninklijke Philips zu einem Schaden geführt, den der geschädigte Verbraucher gegenüber diesem geltend machte. Tatsächlich hatte jedoch nicht Philips, sondern das Unternehmen Saeco die Kaffeemaschine hergestellt. Jedoch war auf dem Produkt auch neben dem Firmenzeichen von Saeco das von Koninklijke Philips angebracht. Fraglich war nun, ob Koninklijke Philips als Quasi-Hersteller in Anspruch genommen werden kann.

Hintergrund

Das Produkthaftungsgesetz, welches die Produkthaftungsrichtlinie in deutsches Recht umsetzt, sieht zwei Varianten des Herstellers vor: Zunächst gilt als Hersteller, wer das Endprodukt, ein Grundstoff oder Teilprodukt tatsächlich selbst herstellt. Weiterhin sind Quasi-Hersteller erfasst, die sich als Hersteller ausgeben, indem sie ihre Marke oder ihren Namen auf dem Produkt angeben, ohne das Produkt selbst hergestellt zu haben. Somit haftet der Markeninhaber neben dem tatsächlichen Hersteller als Quasi-Hersteller. Um diesen Haftungsrisiko zu entgehen, wurde, wenn neben dem Quasi-Hersteller der tatsächliche Hersteller auf dem Produkt angegeben war, die Angaben durch die Kennzeichnung „hergestellt für“ oder „produced by“ verknüpft.

Entscheidung

Der EuGH entschied, dass allein der Umstand, dass eine Marke auf dem Produkt angebracht ist, eine Herstellereigenschaft begründet. Durch das Anbringen der Marke wird der Eindruck erweckt, dass der Markeninhaber an der Herstellung des Produkts beteiligt war. Zudem wird in der Regel die Bekanntheit der Marke genutzt, um das Produkt für Verbraucher attraktiver zu machen. Daher hat der Markeninhaber im Gegenzug auch zu haften. Zudem ist es dem Verbraucher nicht zuzumuten, den tatsächlichen Hersteller zu ermitteln. Somit haften Hersteller und Quasi-Hersteller gleichrangig nebeneinander und der Verbraucher kann entscheiden, welches Unternehmen er in Anspruch nimmt.

Ausblick

In Zukunft wird eine Differenzierung auf dem Produkt hinsichtlich der Rolle des Wirtschaftsakteurs nicht mehr ausreichen, um einer Herstellerhaftung zu entgehen. Laut Urteil kann jedes Unternehmen, das seine Marke auf dem Produkt bzw. der Verpackung angebracht hat, produkthaftungsrechtlich in Anspruch genommen werden. Da das Urteil für die Mitgliedstaaten und Gerichte bindend ist, sollten Unternehmen jetzt schon entsprechende Anpassungen vornehmen, um die Haftungsgefahr zu minimieren. Anzuraten sind sachgerechte Haftungsregelungen im Innenverhältnis zwischen Hersteller und Quasi-Hersteller.

C. Update: Übersicht zukünftiger Rechtsrahmen zu Sorgfaltspflichten

Unternehmen haben zahlreiche Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Derzeit erweitert die EU den rechtlichen Rahmen dafür stetig: Die Kommission hat einen Richtlinienentwurf zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette sowie einen Vorschlag für eine Verordnung über das Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Erzeugnissen auf dem Unionsmarkt veröffentlicht. Weiterhin befindet sich ein Verordnungsvorschlag zur Entwaldungsfreiheit von Lieferketten im Gesetzgebungsverfahren, der auch auf die Stärkung der Menschenrechte beim Abbau bestimmter Rohstoffe im Ursprungsland Bezug nimmt. Am 01.01.2023 tritt zudem das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz („LkSG“) in Kraft.

Verordnungsentwurf zum Verbot von Zwangsarbeit

Die Definition von Zwangsarbeit im Verordnungsentwurf stimmt mit dem aus der Richtlinie und dem LkSG überein und umfasst jede Arbeitsleistung, die unter Androhung von Strafe und mangels Freiwilligkeit zur Verfügung gestellt wird. Vom Anwendungsbereich sollen im Unterschied zum Richtlinienentwurf und LkSG alle Unternehmen erfasst sein. Umgesetzt werden soll die Gewährleistung der Einhaltung der Sorgfaltspflichten durch einen risikobasierten Ansatz der Behörden, wobei zunächst die Produkte identifiziert werden, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, dass diese unter Zwangsarbeit hergestellt wurden. Bei kleineren und mittleren Unternehmen sollen bei der Überprüfung die begrenzten Ressourcen und die Größe des Unternehmens berücksichtigt werden. Zur Beurteilung des Risikos in der Wertschöpfungskette werden externe Informationsquellen als auch bereits erhobene Daten hinzugezogen. Bei einem begründeten Verdacht werden Untersuchungen zu dem Produkt eingeleitet. Falls sich der Verdacht auf Zwangsarbeit bestätigt, können Behörden das Inverkehrbringen und die Ausfuhr des Produkts untersagen. Rückrufe sind nur im B2B-Bereich möglich, im B2C-Bereich sind sie, wenn sie den Endverbraucher erreicht haben, ausgeschlossen.

LkSG und Verordnungsentwurf entwaldungsfreie Lieferketten

Das LkSG dient der Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, verpflichtet wird allerdings „lediglich“ zum Bemühen. Adressiert werden Unternehmen mit mind. 3000 Arbeitnehmern im Inland und ab 2024 Unternehmen mit mind. 1000 Mitarbeitern. Die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten normiert ebenfalls Sorgfaltsplichten für Unternehmen und verpflichtet sie, nach einer Risikoüberprüfung eine Sorgfaltserklärung auszustellen, die bestätigt, dass die auf dem Unionsmarkt bereitgestellten Rohstoffe und Erzeugnisse entwaldungsfrei sind und entsprechend der Regeln des Ursprungslands hergestellt oder gesourcet wurden.

Fazit

Die Verordnung über das Verbot von Zwangsarbeit soll 24 Monate nach ihrem Inkrafttreten gelten. Zur Unterstützung von Unternehmen bei der praktischen Umsetzung veröffentlicht die Kommission auch Leitlinien. Für deutsche Unternehmen, die bereits dem Anwendungsbereich des LkSG unterliegen, wird die Verordnung der inhaltlichen Deckung nur geringe Auswirkungen haben. Die Verordnung zum Zwangsarbeitsverbot gilt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten, wohingegen die Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten erst in nationales Recht umgesetzt werden muss und nur bestimmte Unternehmen erfasst.

Weiterführende Quellen: